Wolfgang Dietrich

Ruhig und als beobachtender Zaungast durchstreift Wolfgang Dietrich die Wiesen des Flächennaturdenkmals (FND) „Pöhlbergalm“. Ausgerüstet ist er mit Fotoapparat, Fangnetz, Lupe und Taschenmesser. Sein Blick scannt die Umgebung und bleibt an einer Ackerkratzdistel hängen. Er zückt seine Digitalkamera und hält die „Spanische Flagge“ auf einem Bild fest. „Euplagia quadripunctaria“ sagt er ohne zu zögern und schiebt nach, dass der Schmetterling zur Familie der Eulenfalter gehört. Das ist typisch für den Kreisnaturschutzbeauftragten* der Region Annaberg-Buchholz. Sorgfältig, fast akribisch erfasst er Pflanzen, Schmetterlinge, Käfer, Gallen, Vögel und natürlich Pilze in unterschiedlichen Gebieten nicht nur auf deutscher sondern auch auf tschechischer Seite des Erzgebirges.

 

 

Spanische Flagge (Euplagia quadripunctaria), ein Falter aus der Familie der Eulen, fotografiert im FND „Pöhlbergalm“. © W. Dietrich

 

Wenn man ein paar Stunden mit Dir in der Natur unterwegs ist, bekommt man einen Eindruck Deines Wissens. Was hat Deinen Wissensdurst auf die Natur ausgelöst?

Ich wuchs in Neustädtel bei Schneeberg auf, an unserem Haus befand sich ein riesiger Garten und die Wismut-Halden waren unsere Spielplätze. Ich verbrachte außerdem viel Zeit mit meinen Eltern und meinem Onkel sowie meiner Tante im Wald. Wir sammelten Pilze. So war ich für die Natur sensibilisiert. Nach und nach wollte ich mehr wissen, doch Bücher gab es Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre kaum.

 

Gab es Menschen, die Dich gefördert und unterstützt haben?

Zu meinem 14. Geburtstag schenkte mir meine Mutter das Buch „Wir bestimmen Schmetterlinge, Band 1: Tagfalter Deutschlands“ von Manfred Koch. Der Autor führte damals zusätzlich einen entomologischen Handel. Ich bestellte mir bei ihm ein Fangnetz, Insektennadeln, Spannstreifen und weiteres Zubehör für die Präparierung von Insekten. Die Spannbretter baute ich mir selbst. So begann ich, mich intensiver mit Tagfaltern zu befassen. Später kaufte ich mir einen guten Fotoapparat mit Zwischenringen**, sodass ich Nahaufnahmen von meinen Beobachtungen machen konnte.

An der Erweiterten Oberschule (EOS) brachten mein Freund Sigmar Hölig und ich die naturkundliche Sammlung in Ordnung. Wir restaurierten Präparate und ordneten sie. Einige leere Insektenkästen durften wir für unsere persönlichen Sammlungen verwenden. In der Schulbibliothek fiel mir dann ein Buch über Käfer in die Hände. So erweiterte ich meinen Beschäftigungsradius – vor allem die Bock-, Blatt-, Rüssel-, Blatthorn- und Marienkäfer haben es mir angetan. Außerdem widmete ich mich intensiver der Botanik. In einem Raupenkasten beobachtete ich die Entwicklung von Schmetterlingen und dafür war es notwendig, die Nahrungspflanzen zu kennen. Alles hängt mit allem zusammen. Das hat mich schon immer fasziniert.

Du hast Dich für ein Lehramtsstudium an der Universität Halle-Wittenberg entschieden, warum?

Von 1970 bis 1974 studierte ich an der Martin-Luther-Universität in Halle Lehramt in den Fächern Biologie und Chemie. Für Halle entschied ich mich bewusst, weil dort der Fokus stärker auf den Naturwissenschaften lag. Durch viele ein- und mehrtägige Exkursionen und Vegetationsaufnahmen im Gelände erweiterte ich meine Artenkenntnisse und schließlich sortierte und bestimmte ich für die Diplomarbeit gemeinsam mit einem Kommilitonen 11.000 Spinnen. Ich arbeitete mich immer wieder in neue Themen ein, las Fachliteratur, sprach mit Experten. Das fand ich schon immer spannend und ich habe noch nicht aufgehört, mich mit neuen, mir noch unbekannten Themen zu befassen. Zurzeit sind es Gallen und Minen, die mich faszinieren.

Hast Du Deine Leidenschaft auch in Deinen Unterricht einfließen lassen?

Von 1974 bis 1980 unterrichtete ich an der Oberschule 3 in Annaberg-Buchholz, anschließend ging ich an die EOS, die später in St. Annengymnasium umbenannt wurde. Damals interessierte mich vor allem das Fachgebiet Mykologie (Pilze). Ab 1980 war ich öffentlich bestellter Pilzberater und das mehr als 40 Jahre lang.

Der Lehrerberuf machte mein Leben planbar. Ich beschäftigte mich in meiner Freizeit weiterhin viel in und mit der Natur. Davon profitierten auch die Schülerinnen und Schüler, denn meinen Unterricht gestaltete ich anhand vielfältigster Fundstücke anschaulich und gegenständlich.

Ich habe mein Hobby und meine Leidenschaft mit meinem Beruf verbunden. So aktualisierte ich z. B. die wissenschaftlichen Sammlungen an den Schulen, in denen ich unterrichtete.

 

Wolfgang Dietrich betreut zahlreiche Flächennaturdenkmale im Erzgebirgskreis und sammelt somit wertvolle Daten für den Naturschutz. Außerdem übernimmt er als Kreisnaturschutzbeauftragter im Erzgebirgkreis für die Region Annaberg-Buchholz Verantwortung (Das Foto entstand im Naturschutzgebiet „Hermannsdorfer Wiesen“.) © Rainer Kunzmann

 

Wie hat sich Dein Engagement für den Naturschutz entwickelt?

Die politische Wende hat für mich weitere Türen geöffnet, denn nun war es möglich, Fachliteratur jeglicher Art zu erwerben. Ich investierte mehrere tausend D-Mark und später Euro in die Anschaffung von Büchern. Schon während meiner Lehrertätigkeit knüpfte ich Kontakte zu Naturschützern der Region. Im Jahr 2000 fielen mir Unterlagen über die Tagfalter in Deutschland in die Hände. Das Erzgebirge glänzte dort mit vielen weißen Flecken. Das motivierte mich dazu, mich wieder intensiver mit Insekten zu befassen. Ich begann, sie zu kartieren und nach und nach kamen die Nachtfalter und weitere Insektengruppen hinzu. Seit 18 Jahren führe ich das Tagfalter-Monitoring am Pöhlberg durch. Mein Transekt ist in 12 Abschnitte gegliedert. Ich suche es bis zu 24 Mal im Jahr auf und erfasse die dort vorkommenden Tagfalter und natürlich auch andere Insektenarten. Im Laufe der Jahre sind fast 400 Begehungen zusammengekommen. Ich finde es interessant, die Veränderung von Gebieten über längere Zeiträume hinweg zu verfolgen. Deshalb betreue ich neben meiner koordinierenden Tätigkeit als Kreisnaturschutzbeauftragter die FNDs „Pöhlbergalm“, „Kalkbrüche Hammerunterwiesenthal“ und „Niedermoor an der Riedelstraße“. Es gibt im Landkreis einige FNDs, die nicht von ehrenamtlichen Naturschutzhelfern betreut werden. Das finde ich schade, weil sowohl günstige als auch ungünstige Veränderungen nicht dokumentiert werden.

 

 

Blick auf das von Wolfgang Dietrich betreute „Kalkbrüche Hammerunterwiesenthal“. © W. Dietrich, 2021

 

Du verbringst sehr viel Zeit in der Natur und erfasst große Datenmengen? Wie gehst Du mit diesen Daten um?

Meistens setze ich mich abends an meinen Computer und bestimme noch nicht identifizierte Arten, die ich auf Fotos festgehalten habe und ich schreibe Artikel für unterschiedliche Fachzeitschriften. Mittlerweile sind über 100 meiner Artikel erschienen, dazu gehören „Veröffentlichungen des Museums für Naturkunde Chemnitz“, „Naturschutzarbeit in Sachsen“, „Mitteilungen Sächsischer Entomologen“, „Sächsische Floristische Mitteilungen“, „Entomologische Nachrichten und Berichte“, „Boletus“ sowie tschechische Zeitschriften. Meine Kartierungsergebnisse der Bergbauhalden, Steinbrüche, Stollen, Floßteiche und -gräben habe ich im Naturpark spezial 11 „Bergbaufolgelandschaften im Naturpark Erzgebirge/Vogtland“ und in den „Sächsischen Floristischen Mitteilungen“ veröffentlicht.

Was sind Deine aktuellen Projekte?

Aus gesundheitlichen Gründen musste ich in den vergangenen Jahren etwas kürzertreten. Ich bin glücklich, dass ich meine Begehungen fortsetzen konnte und kartiere in der Vegetationszeit Insekten im Bereich von Schilfbeständen in den Schutzgebieten „Scheibenberger Heide“, „Hermannsdorfer Wiesen“ und „Fichtelberg“. Die Insekten im FND „Pöhlbergalm“ liegen mir besonders am Herzen und dann drehe ich regelmäßig meine Runden durch das Wohngebiet, um Nachtfalter und weitere nachtaktive Insektenarten zu erfassen. Ich wünsche mir, dass ich gesund bleibe, um mich weiterhin intensiv mit unserer heimischen Natur beschäftigen zu können. Wir wissen noch immer viel zu wenig über sie.

Herzlichen Dank für das Interview

 

*Im Erzgebirgskreis gibt es vier ehrenamtlich tätige Kreisnaturschutzbeauftragte, die für die Regionen Marienberg, Annaberg-Buchholz, Schwarzenberg-Aue, Stollberg verantwortlich sind. Wolfgang Dietrich ist für die Region Annaberg-Buchholz tätig.

**Zwischenringe dienen der Vergrößerung der Bildweite, um einen größeren Abbildungsmaßstab für den Nahbereich zu erhalten. Die Objektweite wird zum Motiv verringert (https://de.wikipedia.org/wiki/Zwischenring)

 

Ein Beitrag von Verband Deutscher Naturparke

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